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Digitalisierung im Energiebereich

Prof. Dr.-Ing. Joachim Schenk, Hochschule München

Die Digitalisierung ist ein Megatrend, der bereits heute nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens erfasst. Wie mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung umzugehen ist, stellt eine bedeutende Herausforderung für die Zukunft dar. So werden etablierte Prozesse und Strukturen durch die Digitalisierung nachhaltig verändert und in einigen Fällen sogar abgelöst.

Zusätzlich steht der Energiebereich derzeit vor seiner größten Herausforderung: Der Energiewende, d. h. die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung. Ein Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderung ist die Digitalisierung: Bereits heute ermöglicht die Digitalisierung Produktions- und Laststeuerungen über weit verteilte Gebiete, so können mehrere Verbraucher zu einem virtuellen Abnehmer zusammengeschaltet werden (den sog. Demand Response Aggregatoren) oder kleine Erzeuger zu einem „virtuellen Kraftwerk“. Durch den gleichzeitigen Einsatz von neuen Technologien wie z. B. Power-to-Heat und Power-to-Gas erfolgt die Lastverteilung auch über Sektorengrenzen hinweg.

Im Jahre 2018 wurde aus dem Gasnetz 900 TWh Energie entnommen und damit mehr als doppelt so viel, wie aus dem Stromnetz – hier waren es ca. 440 TWh (Quelle: statistisches Bundesamt). Aus diesem Grund ist der Gassektor für das Gelingen der Energiewende von entscheidender Bedeutung.

Digitalisierung im wörtlichen Sinne beschreibt die zeitliche Abtastung und anschließende Wert-Quantisierung von analogen (Mess-)werten. Die so digitalisierten Daten können anschließend gespeichert, vervielfältigt, übertragen und v. a. mithilfe von Digitalrechnen verarbeitet werden.

Das SmartSim-Verfahren stellt eine Realisierung der Digitalisierung im Energiebereich dar. Es nutzt verschiedene digital zur Verfügung stehende Eingangsdaten, verarbeitet diese und ermöglicht so z.B. die Integration von erneuerbaren Energien in das bestehende Gasnetz. Dabei ist es für das Verfahren unerheblich, ob es sich bei dem eingespeisten Gas um Biogas aus Fermentern, Wasserstoff aus Power-to-Gas-Anlagen oder methanisierten Wasserstoff handelt. Die Digitalisierung ermöglicht es hierbei, geeichte Messungen an den Einspeisestellen, virtuell – also durch Berechnung – an allen Stellen im Netz verfügbar zu machen. Ebenfalls digital kann mit der Monte-Carlo-Methode die Unsicherheit der so gewonnenen Messwerte überprüft werden. Aufwendige Messungen an den Ausspeisestellen oder gar Brennwertanpassungen werden so vermieden. In der Praxis bietet dies eine Reihe von Vorteilen, die sich durch die Digitalisierung ergeben:

  • Die Betriebssicherheit und -verfügbarkeit wird durch den Wegfall von Konditionierungsanlagen und die Reduzierung von Messinfrastruktur erhöht.
  • Die netzentgeltwirksamen Kosten werden effektiv reduziert.
  • Die Netzkapazität wird durch den Verzicht auf die Zumischung von brennwerterhöhenden Gasen gesteigert.
  • Die Einspeisung von regenerativem Wasserstoff wird überhaupt erst ermöglicht.

Gleichzeitig bedingt dies auch strukturelle Änderungen bei den Netzbetreibern: (digitale) Schnittstellen müssen angepasst, Mitarbeiter auf den Einsatz der entsprechenden Software geschult und Betriebssicherheit nicht mehr auf der Ebene der Hardware, sondern auf der Software-Ebene sichergestellt werden. Durch diese kleine digitale Revolution konnten europaweit bisher ca. 90.000 t CO2 eingespart werden.

Für diesen innovativen Einsatz der Digitalisierung wurde das SmartSim-Verfahren 2019 mit dem „Innovationspreis des TÜV Süd“ (2. Platz) ausgezeichnet.

Eine weitere digitale Abstraktion des Gasnetzes wird derzeit in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Hochschule München untersucht. In „SmartSens“ wird das Gasnetz als digitales Signalverarbeitungssystem modelliert (siehe Abbildung). Dadurch können die Laufzeiten und volumetrischen Anteile von Gasgrößen (Zusammensetzung, Normdichte, Brennwerte etc.) – gemessen an Ein- und Ausspeisestellen – durch digitale Signalverarbeitung ermittelt werden. Und das, ohne die topologischen Parameter des Netzes (Rohrlängen und -durchmesser, Verzweigungen, Regler etc.) zu kennen. Dies ermöglicht die Validierung von Gasbeschaffenheitsverfolgungssystemen wie SmartSim auch unter komplizierten hydraulischen Bedingungen.
Fazit: Die Digitalisierung kann einen Beitrag zur Energiewende leisten – mit SmartSim und den damit verbundenen Projekten erfolgt dies bereits heute.

Das Gasnetz als digitales Signalverarbeitungssystem: Die Eingangssignale (z. B. Brennwerte an den Einspeisestellen) werden durch geeignete Filterung auf die Ausgangssignale (z. B. Brennwerte an den Ausspeisestellen) abgebildet. Bei Kenntnis der Filterkoeffizienten kann diese Zuordnung effizient am Rechner durchgeführt werden.